Erst auf den zweiten Blick auf den Flyer des Humboldt Forums zur Neupräsentation der Sammlungen des Ethnologischem Museums fällt ein doch relevanter Aspekt auf:
Die deutsche Version des Flyers (die sich an das Deutsche Publikum richtet) schreibt: “Viele Objekte verließen den afrikanischen Kontinent als Folge kolonialer Herrschaft.”. Es wird also ein passiver Akt beschrieben, der mit der Realität, wie diese Kunstwerke nach Deutschland kamen nichts zu tun hat.
Die englische Version des Flyers (die sich an das internationale Publikum richtet) schreibt: “Many objects were taken from African continent as a consequence of colonial rule.” und schreibt so von einem aktiven Akt des nehmens, wegnehmens oder stehlens, was der dokumentierten geschichtlichen Realität entspricht.
Es wird also ?wohl bewusst? seitens des Humboldt Forums ein, wenn nicht der wesentliche Aspekt dieser Ausstellung falsch dargestellt: Die ausgestellten Objekte aus Afrika wurde von den Europäern gestohlen und somit kulturelle Idendität in den Herkunftsländern deutlich unterminiert, wenn nicht in Teilen zerstört. Es wurde somit ein rassistisches Konzept aktiv durchgesetzt, bei dem die unterdrückte Gruppe ihrer Identität beraubt wird. Zum Konzept des Rassismus gehört darüber hinaus, denselben zu leugnen, was durch diese verzerrte Darstellung in dem Flyer passiert.2
Wer diese sprachliche Umdeutung, die sich noch dazu, ganz bewusst an zwei unterschiedliche Nutzerkreise richtet, als unwesentlich betrachtet: Was wäre wenn in einem Polizeibericht, nach einem offensichtlichen Einbruch in die eigene Wohnung, “die Wertsachen verließen das Haus” formuliert würde und es somit auch keinen Täter geben müsste, da “verlassen” als passiver Akt auch keine Tat seien muss. Noch schlimmer, der Hausbesitzer wird verdächtigt, die Sachen selbst weggebracht zu haben.
Es stellt sich die Frage, ob den beteiligten Forschern aus den Herkunftsländern der Objekte, die Aussage aus der Deutschen Übersetzung bewusst ist und ob dies diskutiert wurde. Man würde erwarten, dass eher um das Englische “were taken” anstatt von “were stolen” gerungen wurde.
Neben dieser fehlerhaften Darstellung in dem Flyer fällt beim Gang durch die Ausstellung auch eine deutliche Lieblosigkeit bei der Darstellung der Objekte auf. Der Informationsgehalt bei den Exponaten liegt deutlich unter dem, was ein Historisches Museum in einem bayerischen Dorf i.d.R. zu bieten hat. Es fehlen im Humboldt Forum i.d.R. historische Einordnung, Einordnung in den lokalen Kontext, genaue Datierung, etc. So finden sich im Humboldt Forum Trommeln, die in der Vergangenheit zur Kommunikation zwischen Dörfern genutzt wurden ohne eine Beschreibung des genauen Zwecks und Funktion: Was waren die Anlässe? Gab es ein Alphabet oder nur vordefinierte Rythmen? Über welche Distanz wurden diese genutzt? usw.
In diesem Licht stellt sich um so mehr die Frage:
- Warum wurden die gestohlenen Objekte nicht schon lange zurück gegeben?
- Warum wird so wenig Energie in eine angemessene Darstellung gesteckt?
- Warum wird den deutsch sprechenden Besuchern eine andere Realität präsentiert als den internationalen Besuchern?
- Warum findet sich die gleiche Aussage auch in neueren Flyern und auf ihrer Webseite (deutsche Version und englische Version) – zuletzt aufgerufen am 27.02.2023?
Könnte dieser “Fehler” eine direkte Folge davon sein, dass die deutsche Kolonialgeschichte nicht gut genug gelehrt wird? Was denkst Du?
Quellen:
- Enthonogisches Museum & Museum für Asiatische Kunst (Flyer zur Eröffnung) – Humboldt Forum 2022
- How to be an Antiracist – Ibrahim X. Kendi – 2017
- Ethnologische Sammlungen und Asiatische Kunst – Humboldt Forum August 2022
Update (13.04.2023)
Nachdem ich in den sozialen Medien (LinkedIn) auf das Problem hingewiesen hatte, erhielt ich zumindest eine Antwort vom Humboldt Forum (siehe Screenshots und Übersetzung unten).
Leider hat das Humboldt Forum in Berlin die Gelegenheit verpasst, sich zu entschuldigen und zu sagen: “Wir haben einen Fehler gemacht”. Stattdessen behaupteten sie zu Unrecht, dass: “Die Formulierung…wurde seinerzeit gewählt um die unterschiedlichen kolonialen Praktiken und Kontexte abzudecken. Diese umfassen nicht „nur“ Raub, sondern auch Tausch, Handel, Kauf usw. – auch wenn natürlich unbestritten ist, dass diese insgesamt oft innerhalb asymmetrischer Verhältnisse zustande kamen.”
Es scheint ein größeres Problem mit der Geschichtsleugnung im Humboldt-Forum zu geben, denn zu sagen, dass ein “Tausch, Handel oder Kauf…innerhalb asymmetrischer Verhältnissen” kein Raub sei, ist Unsinn. Bevor wir, also die Europäer und eben auch die Deutschen, Afrika verließen, gab es zu der Zeit, als die Gegenstände geraubt wurden, kein geeignetes Gesetz zum Schutz vor dem weißen Mann. Stell dir vor, ein Mafiaboss hält dir eine Pistole an den Kopf oder sagt dir ganz subtil mit einem Lächeln “Du kannst gerne verkaufen” und kauft dein Haus oder Geschäft für einen symbolischen Preis von 1 €. Wie würdest du das nennen?
Im Gegensatz zu anderen Ungerechtigkeiten der deutschen Geschichte, in denen Menschen deutlich unter dem Wert Dinge abgenommen worden sind, fällt es im Kontext von Kolonialismus noch immer schwer Anerkennung und somit auch die Aufarbeitung zu leisten.
Leider hat das Social-Media-Team des Humboldt-Forums darüber hinaus das relevante Wort “Akt” in meiner Erklärung scheinbar übersehen => “passiver Akt” (deutsche Version) im Vergleich zu einem “aktiven Akt” (englische Version), der durch die verwendeten Wörter ausgedrückt wird. Das Humboldt Forum beansprucht, dass sowohl die englische als auch die deutsche Version “passive Konstrukte” seien (was aus grammatikalischer Sicht richtig gewählt ist, da die diskutierten Gegenstände keine Füße haben), verfehlt aber wieder den Punkt, warum Wörter hier relevant sind.
Im Wesentlichen zeigt das Feedback aus dem Humboldt-Forum, dass es noch ein weiter Weg ist, bis Deutschland (und das Humboldt-Forum) die Ungerechtigkeiten der Kolonialzeit vollständig anerkennen. Deshalb bitte ich dich, uns zu unterstützen, indem du die Aufmerksamkeit auf dieses Thema lenkst (gerne einfach mit einem Kommentar bei LinkedIn unter unserem Post).